Berichte von 11/2015

Namaste!

Samstag, 07.11.2015

Hallo liebe Leute,

leider ist mein Laptop zurzeit kaputt, deswegen hat es jetzt etwas gedauert, bis ich wieder schreiben konnte.

Ich bin jetzt fast drei Monate hier und habe mich inzwischen richtig gut eingelebt. Ich bin zunehmend zufriedener mit meinem Projekt und meiner Gastfamilie und nach wie vor sehr froh, hier zu sein.
Da ich vermute, dass Außenstehende, die noch nie in Indien gewesen sind, große Mühe haben sich genau vorzustellen, wie es hier läuft (oder total danebenliegen), berichte ich jetzt mal von meinem Alltag hier.

 

Aaaalso, zu meinem Tagesablauf:

Wegen der Hähne wache ich ausnahmslos jeden Tag zwischen halb und viertel vor sechs auf. Aufstehen muss ich aber erst um sieben, deswegen habe ich mir jetzt angewöhnt, mir morgens Ohrstöpsel einzusetzen, mich nochmal umzudrehen und weiterzuschlafen. :-D Funktioniert super! Ohrstöpsel sind hier allerdings schwer zu bekommen, also wenn jemand zufällig vorhat mir in nächster Zeit ein Päckchen zu schicken... mein Vorrat geht langsam zur Neige!
Nach dem Aufwachen habe ich massig Zeit, denn ich muss erst um halb zehn in der Schule sein und die ist nur fünf Minuten entfernt. Der Tag fängt in Indien grundsätzlich ziemlich früh an, aber wir gehen auch früh ins Bett, deswegen war ich selten so regelmäßig ausgeschlafen wie hier. ;-) In der Zeit mache ich mein Zimmer sauber und frühstücke. Zum natürlich reishaltigen Gericht gibt es immer Chai; allein der ist schon ein Grund sich auf's Aufstehen zu freuen. :-)

Unsere Kueche, hier wird gerade ein besonderes Essen zubereitet, das war an Ganesha, einem Feiertag

Irgendwann gehe ich dann zur Schule und treffe auf dem Weg meistens schon ein paar Schüler, die sich dann mit mir unterhalten wollen. Dadurch habe ich bis jetzt wahrscheinlich am meisten Kannada gelernt. Die unverzichtbare Small-Talk-Frage jeden Morgen, Mittag und Abend ist übrigens „Utta/tinde aitha?“ (Hast du schon gegessen/gefrühstückt?) oder „Eenu tinde?“ (Was hast du gegessen?).

Der Schultag fängt mit dem Prayer an; dabei stellen sich alle Schüler geordnet vor den Lehrern auf und singen die indische Nationalhymne, meistens liest auch ein Kind aus der Zeitung vor und es werden organisatorische Sachen angesprochen, wovon ich nicht allzu viel mitkriege, dazu reichen meine Sprachkenntnisse leider nicht aus. Patriotismus spielt eine ziemlich große Rolle in Indien, der Prayer muss um jeden Preis durchgeführt werden; auch wenn eine Schülerin sich währenddessen übergibt und zusammenbricht oder wenn außer mir noch kein Lehrer da ist (das ist tatsächlich einmal vorgekommen, als die Schule eine halbe Stunde vorverlegt wurde, woran sich die anderen Lehrer am ersten Tag nicht gehalten haben, deswegen stand ich dann alleine mit den ganzen Kindern da, zum Glück sind die da ziemlich routiniert).

Nach dem Prayer geht der Unterricht los, allerdings nicht für mich, denn ich habe zwei Schulstunden Zeit, um meinen Unterricht vorzubereiten. So lange brauche ich in der Regel nicht, deswegen erledige ich manchmal auch irgendwelche Bastel- oder Organisationsarbeiten, die im Lehrerzimmer anstehen, lese oder lerne Kannada. (Inzwischen kann ich die Schrift halbwegs lesen und es fühlt sich toll an, nicht mehr als Analphabetin durch die Gegend zu laufen.) Danach ist noch eine Teepause, die ich beliebig nach hinten verschieben kann, bis der Unterricht für mich losgeht.
In der Unterrichtsgestaltung bin ich nach wie vor ziemlich frei, keiner kontrolliert mich oder schreibt mir vor, was genau ich mit den Kindern machen soll. Mit den kleineren spiele und male ich viel, den größeren bringe ich auch Grammatik bei, was manchmal allerdings ziemlich schwierig ist, da die Schüler alle ein unterschiedliches Sprachniveau haben und es sich kaum vermeiden lässt, dass einige sich über- oder unterfordert fühlen.
Nach den ersten zwei Unterrichtsstunden ist Lunchpause. Nach dem Essen habe ich eine weitere Freistunde und danach Kannada-Lesson bei einer anderen Lehrerin, die nicht viel älter ist als ich und mit der ich sehr gut klarkomme, auch wenn sie kein sehr gutes Englisch spricht und wir uns in einem Mix aus Kannada und Englisch unterhalten.
Nach der Kannadastunde unterrichte ich zwei weitere Klassen. Danach habe ich noch Zeit mit den Kindern zu spielen, aber oft beschäftigen sie sich auch bis zum Schulschluss um 16.15 Uhr alleine.

Dann gehe ich mit meiner Gastschwester, die ich in der 5. Klasse auch unterrichte, nach Hause. Nach einem Snack (immer mit gezuckerter, heißer Milch, ich liebe es ;-) ) wasche ich meine Kleider (wenn ich es am Morgen noch nicht getan habe) und bin ansonsten frei. Da es um sechs dunkel wird, lohnt es sich nicht, in eine der nächsten Städte (Kundapur und Udupi) zu fahren, deswegen verbringe ich die Nachmittage und Abende meist zuhause und beschäftige mich mit verschiedenen Dingen, wie lesen, mit meinen Gastgeschwistern spielen oder meiner Gastmutter beim Kochen zu helfen (oder eher zuschauen; ich hab nicht das Gefuehl, dass sie mich gut brauchen kann). Alle paar Wochen fahre ich in den Nachbarort Saibrakatte, wo es das nächste Internetcafé gibt, aber die Computer sind sehr langsam und die Tastaturen funktioniern zum Teil nicht richtig, deswegen besuche ich es nicht oft.

Wenn nicht gerade Stromausfall oder der Fernseher kaputt ist, schaut die Familie abends fern. Da mein Kannada dafür nicht ausreicht und ich auch kein Fan von kitschigen Soaps bin, lese oder schreibe ich in der Zeit. Um neun bis halb zehn gehen dann alle schlafen. Vorher gibt es nochmal heiße Milch  (werde ich wahrscheimlich nie wieder ohne Zucker trinken :D).

An den Wochenenden habe ich frei, auch wenn samstags Schule ist.Wenn ich nicht verreist bin, verbringe ich die freien Tage mit anderen Volunteers aus der Umgebung in Kundapur oder Udupi. Meistens gehen wir an einen der vielen Strände, wo man sich unter Palmhütten setzen und schwimmen kann. Baden dürfen Frauen allerdings nur vollständig bekleidet; dadurch habe ich mich jetzt schon zweimal erkältet, weil ich mit nassen Klamotten nach Hause gefahren bin. Inzwischen denke ich aber an Wechselklamotten. ;-)

Klamottenbaden! Ein Strand in Udupi

An vielen Wochenenden bin ich aber auch nicht zuhause. Mit z.T. Immer anderen Leuten verreise ich oft. Bis jetzt war ich zweimal in Mysore, zweimal in Nord-Kerala, einmal in Shimoga und einmal in Bangalore. Naechste Woche fahre ich nach Mumbai. Ueber die Reisen gibt es viel zu erzählen, deswegen schreibe ich ein anderes Mal einen Eintrag dazu.


Und zu dem, was es ueber den Alltag noch zu sagen gibt:

In der Schule ist, wie schon erwaehnt, staendig was los. Es gibt immer einen Grund, um lauter Leute zu empfangen und irgendwas zu feiern.
In meinen ersten Wochen waren Presseleute da, die Fotos von mir gemacht, meinen Unterricht beobachtet und mir Fragen gestellt haben. Eine Frage war, was ich von Hitler halte. Die Antwort kam im Zeitungsartikel dann aber nicht vor.

Eine der vielen Veranstaltungen, bei denen die Schueler tanzen Zeitungsartikel

Ansonsten gab es den Teacher’s Day, an dem die Kinder ein lustiges Programm fuer die Lehrer vorbereitet haben (fand ich uebrigens besser als jeden erlebten Abischerz), noch mehr Wettbewerbe, eine Feier fuer einen Lehrer unserer Schule, der als bester Lehrer im Udupi District ausgezeichnet wurde und diverse andere Veranstaltungen, ueber die ich meistens eine Stunde vor Beginn im Vorbeigehen informiert wurde (Kommunikation in Indien ist so eine Sache fuer sich...), die ich aber nicht wirklich durchblicke; meistens muss ich dann irgendwelchen fremden Leuten die Hand schuetteln und werde fuer Fotos ins Bild gezerrt. Deswegen bin ich jetzt auch schon mehrmals in irgendwelchen Zeitungen gewesen, aber kann beim besten Willen nicht sagen, worum es dabei gerade ging. Darauf bin ich aber mehrmals von Leuten im Bus angesprochen wurden. :D

Die Schueler an der Schule sind ueberraschend selbststaendig. So kehren sie beispielsweise jeden Morgen von sich aus das Leherzimmer, teilen das Essen aus, laeuten die Schulglocke und kuemmern sich ganz ruehrend umeinander, vor allem die aelteren um die juengeren oder sie sich gegenseitig um verletzte Klassenkameraden (sie schlagen sich gerne, aber vertragen sich meistens sehr schnell wieder).
Das Verhaeltnis zwischen den Schuelern und Lehrern ist wesentlich enger, als man es aus deutschen Schulen kennt, auch wenn die Kinder gelegentlich geschlagen werden, verstehen sich alle insgesamt sehr gut. Die Lehrer werden mit Vornamen anderedet, gefolgt von „Teacher“ oder „Madam“ bei den Lehrerinnen und ‚Sir‘ bei den Lehrern. Ich bin demnach also „Daria Teacher“ oder „Daria Madam“. Grundsaetzlich ist es unhoeflich, aeltere Personen mit Namen anzureden, weswegen ich auch meine Gasteltern nur mit „Ana“ (grosser Bruder) und „Akka“ (grosse Schwester) anspreche und von meinen Gastgeschwistern „Akka“ genannt werde.

Die Frauen hier und auch die Maedchen in der Schule sind immer sehr ordentlich und schoen zurechtgemacht. Die Haare duerfen nicht offen sein und die Frisuren sind oft sehr aufwendig, meistens geflochtene Zoepfe oder Affenschaukeln, aber auch diverse andere Kunstwerke kann man sehen. Fast alle Frauen lassen ihre Haare extrem lang wachsen, manchmal werden auch Haarverlaengerung drangehaengt. Dazu werden immer frische Blumen und bunte oder glitzernde Spangen im Haar getragen. Manchmal sind auch die kleinen Kinder schon geschminkt und alle tragen Unmengen an Armreifen (bis zu 12 an jedem Arm) sowie Fusskettchen. Fussketten muessen unbedingt an beiden Fuessen getragen werden, an nur einem schickt sich gar nicht! Die Kleider und Saris sind immer sehr, sehr bunt und oft mit grossen Mustern, Glitzer oder Perlen geschmueckt. Zwischen den Augenbrauen tragen Hinduistinnen immer ein Steinchen (Bindi), das mir die Kinder auch oft ankleben.  Auf jeden Fall spielt das Aussehen eine wichtige Rolle.

Meine Gastmutter hat mit die Haare gemacht

Es gibt soviele Dinge hier, die mir staendig auffallen, weil sie anders sind, als ich es kenne, dass ich sie kaum alle aufzaehlen kann. Einige Verhaltensweisen habe ich aber bereits verinnerlicht: Ich wackle fleissig seitwaerts mit dem Kopf (was von „Ja“ ueber „Keine Ahnung“ bis „Nein“ alles bedeuten kann), ich nehme und gebe Geld und andere Gegenstaende immer mit der rechten Hand (das ist wesentlich komplizierter als man denkt, gerade wenn man in einem ueberfuellten, ruckelnden Bus steht und sich gleichzeitig festhalten muss oder wenn man schon was Anderes in der Hand haelt) und ich bemuehe mich, niemanden mit den Fuessen zu beruehren, was als sehr unhoeflich gilt und durch eine bestimmte Geste wieder gut gemacht werden muss (die rechte Hand des anderen beruehren und dann die eigene zur eigenen Stirn, Kehle und Brust fuehren).


Ich wundere mich auch nicht mehr so viel wie am Anfang. Es passieren staendig Sachen, die ich mir nicht erklaeren kann und die mir auch sonst keiner wirklich erklaert, aber ich habe gelernt, so etwas einfach hinzunehmen. Inder sind grundsaetzlich entspannter, was gewissermassen auf mich abfaerbt. ;)
Trotz allem laesst man mich nicht vergessen, dass ich fremd bin. In Heskathur hat man sich inzwischen an eine Weisse im Dorf gewoehnt, doch etwas weiter ausserhalb werde ich staendig angestarrt und angesprochen. Viele Leute wollen Fotos mit mir machen und manche fotografieren auch ohne zu fragen. Das geht mir unglaublich auf die Nerven. Besonders sensibel sind die meisten hier naemlich nicht, denn sie koennen sich anscheinend nicht vorstellen, dass ich nicht in jedem Zustand staendig auf Fotos verewigt werden moechte (beim Essen, wenn ich muede oder verschwitzt bin...). Davon abgesehen ist mir schleierhaft, was der Sinn solcher Fotos ist. Aber gut, ansonsten werde ich eigentlich immer sehr freundlich behandelt. 

 

Indiens Nationalvogel in Heskattur, es gibt sehr viele Pfaue hier
So, ich hoffe, ihr habt jetzt einen kleinen Einblick bekommen, auch wenn es gar nicht genug Worte gibt, fuer alles, was ich hier staendig sehe und erlebe. Ich gebe mir aber Muehe euch daran teilhaben zu lassen und werde ganz bald wieder schreiben!!!


Liebe Gruesse,

Daria